BVerfG-Urteil zum Sorgerecht nach Schütteltrauma
- Beschl. v. 20.11.2024, Aktenzeichen: 1 BvR 1404/24
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat entschieden, dass eine Zweijährige trotz eines zuvor erlittenen schweren Schütteltraumata, welches laut Gutachten von den Eltern verursacht wurde, unter bestimmten Auflagen zu den Eltern zurückkehren darf, diese also das Sorgerecht wieder erhalten.
Hintergrund:
- Das Kind erlitt im Alter von vier Wochen lebensgefährliche Verletzungen, die auf ein Schütteltraumata zurückgeführt werden konnten, jeweils durch einen Elternteil verursacht
- Das Familiengericht entzog den Eltern 2022 vorläufig das Sorgerecht, und das Jugendamt übernahm die Amtspflegschaft (à übliche Vorgehensweise). Das Kind wurde medizinisch versorgt, glücklicherweise zeigten sich keine bleibenden Schäden
Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG):
- Im Mai 2024 gab das OLG Braunschweig den Eltern das Sorgerecht vollständig zurück, verbunden mit der Auflage, in einer Eltern-Kind-Einrichtung zu leben und weitere Maßnahmen zur Rehabilitierung zu absolvieren
- Das Gericht begründete, dass eine erneute Kindeswohlgefährdung zwar möglich, aber weniger wahrscheinlich und schwerwiegend sei, da das Kind nun älter ist. Eine dauerhafte Fremdunterbringung sei demnach nicht notwendig
Verfassungsbeschwerde und Entscheidung des BVerfG:
- Der Verfahrensbeistand (i.d.R. ein Rechtsanwalt/Fachanwalt für Familienrecht) des Kindes legte Verfassungsbeschwerde ein und argumentierte, dass das Kind dennoch weiterhin gefährdet sei
- Das BVerfG wies die Beschwerde ab, da die Auflagen des OLG verfassungsrechtlich ausreichend Schutz gewährleisten. Die Kammer äußerte jedoch „Bauchschmerzen“ hinsichtlich der Entscheidung à „noch verfassungsrechtlich hinzunehmen“
- Die Entscheidung ist ein Ergebnis der Abwägung zwischen Schutzanspruch des Kindes (Art. 2 I, II 1 i.V.m. Art. 6 II 2 GG) und der elterlichen Pflege und Erziehungsverantwortung (Art. 6 II 1 GG) à Prognose des Sachverständigengutachtens entscheidend!
- Das Gericht betonte den grundsätzlichen Vorrang der elterlichen Erziehung vor staatlicher Obhut und sah keine deutlichen Bewertungsfehler im OLG-Beschluss. Es stützte sich auf positive Berichte über die Eltern-Kind-Beziehung aus einer vorherigen Einrichtung
- Wichtig: es besteht jederzeit die Möglichkeit, eine solche Entscheidung rückgängig zu machen und das Kind unter staatliche Obhut zu stellen, sofern neue Anhaltspunkte für eine Gefährdung bestehen
Fazit:
Das BVerfG hält die Rückübertragung des Sorgerechts an die Eltern für vertretbar und demnach für verfassungsrechtlich geboten, wenn diese die auferlegten Schutzmaßnahmen erfüllen, trotz der hohen Wahrscheinlichkeit, dass die ursprünglichen Verletzungen von ihnen verursacht wurden. Letztlich dürfte sich das Gericht durch die von dem Gutachten beschriebene „enge und liebevolle Eltern-Kind-Beziehung“ überzeugt haben lassen und geht demnach von keiner das Kindeswohl gefährdenden Situation aus.
Auch unsere Rechtsanwaltskanzlei setzt sich intensiv mit der Thematik des elterlichen Sorgerechts auseinander und bietet professionelle Betreuung und rechtliche Beratung. Darüber hinaus sind in der Kanzlei Hufnagel Fachanwälte für Familienrecht beschäftigt, welche über langjährige Expertise verfügen und Ihnen zur Verfügung stehen. Kontaktieren Sie uns gerne!